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I.                    Schleicht, spielende Wellen

Diese Kategorien der Beschreibung werden auch häufig für unseren musikalischen Bach verwendet. Durch das Studium von Musik aus dieser Zeit lernte Bach ihre Qualitäten. Wie sieht es nun aus, wenn er Wasser vertont? Benutzt er neben barocken rhetorischen Tonfiguren (auf die ich wie gesagt nicht eingehen werde) die auf- und abströmenden Satzmodelle des Monte und Fonte? Ich greife heute dazu zu keinem der etwas zahlreicheren Stücke, in denen Weinen und Heulen dem Wasser alle Schleusen öffnet. Nicht „Buß und Reu“ sollen heute das Sündenherz entzwei knirschen lassen und die Tropfen der Zähren Jesu angenehme Spezerei gebären, sondern ich möchte zwei Beispiele aus einer weltlichen Kantate Bachs anführen – allerdings nicht mit weniger merkwürdigen barocken Sprachmetaphern gespickt. In der Geburtstagskantate „Schleicht, spielende Wellen und murmelt gelinde“ BWV 206 gratulieren dem Sachsenkönig August III. vier Flüsse höchstpersönlich, zwei des eigenen Reiches, Elbe und Pleiße und zwei aus den Nachbarreichen, die polnische Weichsel und die Donau aus der Heimat der Monarchengattin.

Schauen und hören wir zunächst, was die Donau dem „Reis aus Habsburgs hohem Stamme“ zu sagen hat:

Reis von Habsburg Analyse

Tatsächlich finden wir im Ritornell, zuerst vorgetragen von den beiden Oboe d’amore, den Liebesoboen, und dem Basso continuo nach einer kadenziellen Eröffnung in der Grundtonart fis-Moll eine ansteigende Figur, die sich harmonisch als Ausgestaltung eines Anstiegsmodells entpuppt. Im Sinne Riepels kann man diesen Anstieg vielleicht nicht Monte nennen (er meint damit prinzipiell den Anstieg zur IV. und V. Stufe), aber das Bauprinzip ist gleich: Kadenzfälle in aufsteigenden Abständen.

Die den Monarchen selbst verherrlichende Elbe wird musikalisch folgendermaßen dargestellt:

Jede Woge Analyse

Wieder dasselbe Prinzip: zuerst wird die Grundtonart, hier h-Moll, kadenziell gefestigt, dann folgen zwei Sequenzen. Die erste ist kurz und führt chromatisch aufsteigend zur IV. Stufe – ein Monte. Die ausführlichere ist absteigend und die Grundtöne ihrer Harmonien lauten: e – A – D – G – cis – fis – h – e

Sie beginnt und endet also auf e. Man könnte sich jetzt fragen, warum die Harmonik erst ansteigt um sofort wieder zu fallen – und dies dann auch noch quasi im Kreis, ohne vom Fleck zu kommen sozusagen. Im Moment dazu nur soviel: Das ist eine oft anzutreffende Tatsache und vor allen Dingen in unseren Wassermusiken wird uns dies in der ein oder anderen Form begegnen.

Die absteigende Sequenz ist die häufigste der tonalen Musik: die Quintfallsequenz. Sie rollt quasi von alleine und taugt mühelos wie keine andere Harmoniefolge zum formalen Füllmaterial: Die melodischen Figuren steigen stufenweise herab, die Beziehung von jedem Akkord zum folgenden ist eine Nach- oder Abbildung der zentralen Verbindung in der Kadenz, dem Quintfall von der V. in die I. Stufe. Händel und Vivaldi benutzen sie sogar noch ungleich häufiger als ihr immer etwas komplizierter denkender Zeitgenosse Bach.

Auf die titelgebende „Water musicke“ von Händel (das „icke“ ist eine pittoreske altenglische Schreibweise) werde ich übrigens nicht eingehen, denn es ist ja bekanntermaßen keine Musik über Wasser, sondern nur auf dem Wasser zu spielen.

Ein Vergleich des Quintfalls mit dem Fonte-Modell zeigt, dass letzteres nur eine speziellere Version des ersteren darstellt: Im Fonte wird sogar jeder zweite Akkord mittels Leitton und Dominantsepte zu einer genauen Entsprechung des kadenziellen Dominantseptakkordes in die Tonika.

Jede Woge Analyse

Warum fließt die Elbe harmonisch abwärts, die Donau jedoch aufwärts, den Gesetzen der Schwerkraft widerstrebend? Meine Deutung ist, dass geographisch von Sachsen aus betrachtet die Donau gegenüber der Elbe ja auch mehr oder minder in die entgegensetzte Himmelsrichtung fließt. Aber wir haben schon gesehen, dass benachbart auch Sequenzen in der Gegenrichtung vorkommen, ja, dass dies sogar ein gängiges Formprinzip ist: „What comes up must come down“ – immer mit einer gewissen Bevorzugung der fließenderen Quintfallsequenz.

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