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Einen musikalischen Bach gibt es – eigentlich eine ganze Dynastie, aber der Bach, der uns als erster einfällt, hatte als musikalisches Emblem ganz und gar nichts Fließendes, eher etwas Statuarisches, etwas, das sich zäh in die Höhe schraubt, die Figur: B-A-C-H.

BACH.bmp

Bach selber hat diese Figur harmonisch ausgestaltet, jedoch beileibe nicht erfunden. Sie ist kompositorisches Allgemeingut. Sie taugt zum Aufwärtssequenzieren, zum Antreiben der harmonischen Spannung eines Stückes, gerne verwendet in Mittelteilen wie Fortspinnungen oder Durchführungen.

Die klassische Musiktheorie hat dafür einen bildhaften Namen verwendet, den Begriff „Monte“ – Berg. Joseph Riepel, ein Theoretiker der Hochklassik, zeigt dazu in seinen Anfangsgründen zur musicalischen Setzkunst zahlreiche Beispiele anhand des Menuetts. Alle stehen in C-Dur und das erste sieht so aus:

Riepel Monte

Hier mit einer von mir hoffentlich stilgerecht ergänzten Bassstimme:

Riepel

Der erste Achttakter des Menuetts bestätigt die Tonart kadenziell und moduliert in die Oberquinttonart – das ausgefüllte Quadrat markiert einen Ganzschluss, das offene Quadrat einen Schluss in der Oberquinte. Der Monte steht als Sequenz am Beginn des zweiten Achttakters, in den Spitzentönen des Monte erkennen wir das B-A-C-H. Im mehrstimmigen Satz gesellt sich dazu in einer Stimme, häufig dem Bass, eine chromatisch ansteigende Linie. Diese Kombination von Stimmführungen nennt man in der Musiktheorie ein „Satzmodell“.

Monte

Es kann modulartig eingesetzt werden, aber die Komponisten überbieten sich in originellen Ausgestaltungen der grundlegenden Modelle. Vor allen Dingen Bach bereitet Analysierenden immer wieder Kopfzerbrechen, da er der Weltmeister im Anspielen, Verändern und unerwarteten Kombinieren von Standard-Bausteinen zu sein scheint – mir jedenfalls ist bislang kein anderer Komponist begegnet, der Strukturen dermaßen komplex und wandelbar einsetzt.

Die gegenteilige Figur zum „Monte“  ist der „Fonte“ – Quelle oder Brunnen. Der erste Achttakter bleibt der selbe, im zweiten finden wir eine treppchenartig absteigende Figur.

Riepel

Die vierstimmige Version habe ich zum besseren Vergleich mit dem Monte transponiert:

Fonte

Sicher über Berg und wasserreiches Tal führt uns die letzte dieser satztechnischen Figuren, „Ponte“ – die Brücke.

Ponte

Ponte

Riepel bläut seinen Kompositionsschülern ein:

Nun diese dreyerley Exempel mußt du dir merken, so lang du lebst und gesund bist. Das erste, wobey Monte stehet, fängt nach der □-Cadenz in G (ein Änderungsabsatz, also ein modulierender Ganzschluss), mit einem Schusterfleck (melodische Sequenz) an, welcher aber doch ein wenig varirt ist. Das zweyte (Fonte) macht nach besagter Cadenz einen Einschnitt in D Terz minor, um hiedurch eine Stuffe tieffer wieder einen Grundabsatz, nämlich in C als dem Haupttone, zu formiren, und glücklich wieder nach Hause zur ■-Cadenz (ein Grundabsatz, also Ganzschluss) zu kommen. Das dritte (Ponte) hebt nach mehrbemeldter Cadenz glatterdings wieder in G an, um zur ■-Cadenz zurücke zu kehren.

[Joseph Riepel: Anfangsgründe zur musikalischen Setzkunst. Zeno.org: Musiktheorie des 18. Jahrhunderts, S. 427]

 

Wir sehen: Der Ponte passt nicht ganz in die Reihe, da er im Gegensatz zu den vorherigen Satzmodellen nicht sequenziert, also fortspinnt, sondern eine Brücke schlägt, am Ziel einen Punkt setzt, also kadenziert. Dies führt uns zu einem zentralen Punkt der Harmonielehre: Die allseits beliebte Kadenz ist nämlich nur das eine beherrschende Formprinzip tonaler Musik, das andere, im allgemeinen Wissen über Harmonielehre oft vergessene Prinzip ist die Sequenz. Erst im Wechsel zwischen den beiden entsteht Musik mit Anfang, Mitte und Ende. Es ist das allgemeine Prinzip von Öffnen und Schließen, von Statik und Dynamik.

Nicht umsonst beschreiben wir viele Musik als Folge von Wellen, Musik strömt und fließt; bleibt sie in der Mitte stehen, ist das oft nur ein Sammelbecken für weitere Kaskaden, erst am Ende erreicht sie wieder Grund, sie ruht sie in der Tonika.

Auch die Melodieführung, insbesondere der niederländischen Vokalpolyphoniker des 15. und 16. Jahrhunderts, wird häufig mit Wellenbewegung verglichen – sie entfaltet sich in konzentrischen Kreisen um die Mitte, steigt zum Höhepunkt und fließt wieder zurück, mit vielfältigen Wellenkräuselungen in scheinbar endlosem Strömen – immer neu und doch immer gleich.

Josquin Welle

Josquin Desprez, „Kyrie“ aus der Missa Pange Lingua, Beginn der Tenorstimme

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