SatzLehrgang – Hans Peter Reutter

Satzmodelle: Literaturbeispiele für die Oktavregel

[zurück] [Heim] [Satzlehre] [SatzLehrgang] [Kontakt] [weiter]

PDF-Version der aktuellen Seite

Harmonisierte Skalen durchziehen mehr oder minder die gesamte tonale Musik. Meist beschränken sie sich auf Skalenausschnitte, oft den Gang zwischen der I und der V, aufwärts und abwärts. Viele Beispiele machen sich den Umstand zunutze, durch abweichende Harmonisierung die Stufenzugehörigkeit eines Basstones quasi zu ändern, also zu modulieren. Besonders instruktiv dafür ist die bekannte Air aus J. S. Bachs 3. Orchestersuite.

Mehrstimmigkeit Basics_0009

Fast durchgehend bewegt sich in diesem Stück der Bass in Skalengängen (mit gebrochenen Oktavwechseln). Der Generalbass wurde von Bach nicht beziffert, das bedeutet wahrscheinlich, dass er beim Spieler die Oktavregel als bekannt voraussetzte. Im Sinne dieser Oktavregel wird ab T. 2 Mitte harmonisiert: V. Stufe, dann der typische Sekundakkord über der 4. In T. 3 jedoch wird das fis bei der Auflösung mit einem dominantischen Sextakkord harmonisiert, dadurch wird es zur 2. Stufe in e-Moll. Ein neu zu beobachtendes Element, das Bach immer wieder verwendet, ist in T. 4 zu sehen: Bei der Rückmodulation nach D-Dur wird die 1. Stufe als Bassvorhalt zur 7. harmonisiert, damit zwischen e-Moll und D-Dur vermittelnd. In T. 5 wird die 7. Stufe von D-Dur mittels der Durchgangsnote gis in der ersten Violine zur 3. Stufe von A-Dur.

Noch ausführlicher wird die regola d’ottava am Ende des Satzes eingesetzt:

Mehrstimmigkeit Basics_0009

T. 13f ist eine chromatisch ansteigende Kette von Zwischendominanten (Monte-Kette [Link]), die diatonische Oktavregel setzt im Auftakt zu T. 15 ein, zunächst als 1-7-1 von D-Dur. Durch das c am Ende des Taktes allerdings wird die Tonart nach G-Dur gewechselt. Die Umdeutungsmöglichkeit der doppeldominantischen 6. Stufe zu einer normalen dominantischen 2. schafft in T. 17 die Rückmodulation zur Haupttonart D-Dur.

 

Ein Komponist, der im 19. Jahrhundert besonders häufig Skalengänge zu harmonisieren schien, ist Robert Schumann. Quellenforschungen haben tatsächlich ergeben, dass er in seinem Generalbass- und Kontrapunktunterricht bei dem Leipziger Kapellmeister Heinrich Dorn ausführlich die Oktavregel üben musste. Eine typische Skizzenseite aus diesem Unterricht sehen wir hier.

Ergebnisse dieser Studien könnte man im Album für die Jugend op. 68 finden, hier der Anfang der „Scheherazade“, die Nr. 32, wieder dient der charakteristische dominantische Akkord auf der 2. Stufe der Modulation (von a-Moll nach C-Dur in T. 4):

Mehrstimmigkeit Basics_0010

Etwas komplexer wird die Oktavregel in Nr. 22, dem „Rundgesang“, eingesetzt:

Mehrstimmigkeit Basics_0009

Hier finden wir wieder mehrere Ausweichungen durch Umdeutungen charakteristischer Akkorde (4. Stufe abwärts, 2. Stufe aufwärts). Selbstverständlich sind die Grenzen zwischen Parallelführung in Sext- (und Sekund- bzw. Terzquart-)Akkorden und der eigentlichen Oktavregel fließend. Und Schumann wird beim Komponieren nicht gedacht haben: Hm, da mache ich mal Oktavregel und moduliere damit. Was damit aber gezeigt werden soll, ist, dass das Üben dieses Modells eine praktische Erweiterung des improvisatorischen und kompositorischen Repertoires darstellen kann. Es kann, sobald es internalisiert ist, quasi von alleine in die Komposition und das Stegreifspiel einfließen.

Übungen zur Oktavregel (PDF)

weiter zu: Kadenz-Imperfizierungen (Trugschlüsse)

Letzte Aktualisierung 07.06.12

[zurück] [Heim] [Satzlehre] [SatzLehrgang] [Kontakt] [weiter]